Verirrte, Verwirrte, Verbrecher: Q33NY



Nach der Katastrophe von New York wuchern im Internet
Verschwörungstheorien wie Schimmelpilze in den Tropen. Das kann man
belächeln, aber vieles davon ist gefährlich. Lebensgefährlich.

Von Frank Patalong


Es gibt diese Momente, in denen man sich fragt, warum kranke,
kreative Hirne solche Dinge tun. Dinge wie die "Q33NY"-E-Mail, zum
Beispiel.

Das ist eine kleine Legende, die sich mit rasender Geschwindigkeit um
die Welt verbreitet. In aller Regel sind diejenigen, die dieses
Schauerstück erreicht, so geschockt, dass sie nicht mehr an ihre
Bekannten weitergeben als dieses "Hast du das schon gesehen?" - und
dann erklären sie kurz, was es mit Q33NY auf sich hat.

Q33NY, lernt man da, ist die Flugnummer eines der gekaperten
Passierflugzeuge, die bei dem Attentat auf das World Trade Center
eingesetzt wurden. Nun nehme man Microsoft Word und schreibe diesen
fatalen Schriftzug: Q33NY. Probieren Sie es ruhig aus. Sodann
markiere man die Buchstaben und stelle eine Schriftgröße von 72 ein
(Damit man es besser sieht). Dann wähle man als Schrift "Wingdings".
Und? Und? Gesehen?

Kann das Zufall sein?, fragen zahlreiche Leser-E-Mails, manche davon
mit 15 Fragezeichen.

Nein, Zufall ist das nicht

Es ist volle Absicht. Die Frage ist vielmehr, warum?

Warum zeigt Q33NY etwas dermaßen Symbolträchtiges? Oder sollte die
Frage lauten: Warum setzt jemand so etwas in die Welt?

Das Spiel mit den Buchstaben soll uns zum Denken bringen. Hier noch
einmal die Zeichenfolge: Q33NY.

Das ergibt in Wingdings:



Ein Flugzeug, zwei Hochhäuser, ein Totenkopf und ein Davidsstern.
Noch Fragen? Alles beantwortet?

Eine versteckte Botschaft ist das natürlich, die uns etwas über die
Schuldigen sagen soll. Über die wahren Täter von New York und
Washington. Versteckt in der Schrift Wingdings in einem
Microsoft-Programm, vor vielen Jahren schon; versteckt in der
Flugnummer eines Fluges, den man wohl genau deshalb für den
Terroranschlag ausgesucht hat.

Hat da Bill Gates seine Finger im Spiel? Oder nur "die Juden", die
"Weisen von Zion", die "jüdische Weltverschwörung"?

Es passt ja auch zu der Nachricht, die am 14. September 2001 in der
Aufmachung einer seriösen Zeitungsmeldung durch zahlreiche Newsgroups
geisterte:

"4000 jüdische Angestellte des WTC nahmen am 11.9. frei".

Das muss man erst einmal einen Augenblick sacken lassen. Die Zeile
noch mal lesen: "4000 jüdische Angestellte des WTC nahmen am 11.9.
frei".

Das ist perfide, und es ist kein Einzelfall.

Zeiten von Krieg und Katastrophe waren von jeher die Hochsaison für
Bauernfänger, finstere Ideologen, Volksverhetzer und -verdummer.
Dinge wie die Q33NY-Mail - das einzige Stück Code, das derzeit
schnellere Verbreitung findet als das Virus Nimda - zeigen, wer hier
gerade auf welchen Zug aufspringt.

Rassisten und Faschisten wittern Morgenluft. Dieser fatale Klimamix
aus Schock, Angst, Wut, Rachegefühlen und der latenten Bereitschaft,
zum fröhlichen Sündenbock-Halali auf Minderheiten zu blasen, ist für
sie ein idealer Nährboden. Und das gilt nicht nur für Amerika.

Die starke Hand ist gefragt, wie seit Jahrzehnten nicht, und es
scheint Menschen zu geben, die sichergehen wollen, dass sie schlagend
auch "die Richtigen" trifft. Siehe oben.

Apropos siehe oben: Q33NY ergibt doch nun einmal diese schockierende
Zeichenfolge. Das kann man doch nicht wegdiskutieren!

Kann man nicht.

Braucht man aber auch nicht. Wie zu Goebbels Zeiten greifen auch hier
die Grundprinzipien der Demagogie, der bewussten Fehlinformation.

Q33NY ergibt als Wingding-Zeichenfolge tatsächlich Flugzeug,
Hochhäuser, Totenkopf und Davidsstern.

Was hier nicht stimmt, ist die Grundvoraussetzung, die
"Definitionsmenge", wie man in der Schule gesagt hätte.

Denn es gab keinen Flug mit der Nummer Q33NY.

Der Rest ist "Reversed Engeneering". Man nehme die
Wingding-Zeichenfolge, übersetze sie zurück in Normalschrift - und
schicke eine empörte Mail auf den Weg. So einfach ist das, in zwei,
drei Tagen Millionen Leser zu finden.

Das Konzept setzt auf das Prinzip "steter Tropfen": Das ist so wie
mit den Türkenwitzen, den Polenwitzen, den
Beliebige-andere-Prügelknaben-Witzen. Wird ein hanebüchener
Schwachsinn nur oft genug wiederholt, bleibt schon was kleben. Der
Versuch, der derzeitigen Wut und Trauer eine antisemitische Richtung
zu verleihen, ist weder originell noch überzeugend. Leider, die
Geschichte beweist das, funktioniert so etwas.

Der Rest der Geschichte ist vorhersehbar: Sollten harte Beweise dafür
vorgelegt werden, wer die Schuldigen wirklich waren, wird auch das
antisemitisch verdreht werden. Wenn sie dann nicht Täter waren, wird
man sie per Verschwörungstheorie zu den eigentlichen Zielen des
Anschlages erklären. Frei nach dem Motto: "Wenn diese Israelis nicht
da gewesen wären, hätte es nicht so viele unschuldige Amerikaner
erwischt."

Verschwörungstheorien sind in dieser Hinsicht unendlich vielfältig
und kreativ - und funktionieren doch immer mit denselben platten
Mechanismen. Das ist gefährlich, weil es Menschen gegeneinander
aufbringt. Und es ist vor allem eines: krank.

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(C) SPIEGEL ONLINE 2001

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